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Zeige Bild in Lightbox Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz sitzen in der Bundespressekonferenz.
Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz erklären in der Bundespressekonferenz die Ergebnisse (© Sean Gallup / Getty Images)
Michael Hüther bei Zeit Online Gastbeitrag 5. Juli 2024

Haushaltseinigung: Kein Problem wirklich gelöst

Nach langem Streit hat die Bundesregierung sich heute auf einen Haushaltsrahmen für 2025 geeinigt – und vor lauter Streit die eigentlichen Herausforderungen übersehen.

Mit der heute verkündeten Haushaltseinigung hat die Ampel-Koalition es geschafft, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen – wieder einmal. Politisch ist das einigermaßen beeindruckend. Allen Abgesängen zum Trotz lebt die Ampel weiter, man möchte fast gratulieren, wäre da nicht der nicht so kleine Haken: Vor lauter politischer Überanstrengung hat die Bundesregierung vergessen, auch nur ein Problem wirklich und nachhaltig zu lösen. Der Investitionshaushalt ist bezogen auf die Infrastrukturmängel völlig unzureichend; das Sozialbudget bleibt – gemessen an den Fehlanreizen –überdehnt; die langfristige Finanzierung der Verteidigungsausgaben, um das 2-Prozent-Ziel einzuhalten, ist offen.

Und wer würde ernsthaft behaupten, die Staatsverschuldung sei das drängendste Problem unserer Zeit? Keine Frage: Der Bundeshaushalt wurde in den GroKo-Jahren überdehnt und hat zusätzliche Posten angesammelt, die eine Bereinigung verdient haben. Manch einer in Berlin tut gut daran zu lernen, dass sich nicht jedes Problem mit Geld zuschütten lässt. Und dennoch ist die Schuldenstandsquote 2023 das dritte Jahr in Folge gesunken und beträgt 63,6 Prozent – in der Eurozone ist sie im Schnitt 25 Prozentpunkte höher. Die Verantwortung für die Zukunft ist umfassender definiert.

Bis mindestens 2028 soll der Sparkurs weitergehen, hat der Finanzminister trotz allem angekündet – und verhält sich damit wie ein Hausbesitzer, der bei einem Rohrbruch so lange auf die Butter verzichtet, bis er das Geld für den Handwerker zusammen hat. Mag sein, dass er in ein paar Jahren das Geld für die Reparatur gespart hat, nur steht ihm bis dahin vermutlich das Wasser bis zum Hals. Manche Ökonomenkollegen sagen, es würde nichts kaputtgespart. Richtig ist: Vieles wurde über lange Zeit kaputtgespart. In keinem Infrastrukturnetz – Schiene, Fernstraßen, Wasserstraßen – konnte der Verfall gestoppt und der Trend ins Positive gewendet werden. Jetzt erleben wir und die Gäste der Europameisterschaft die Umkippeffekte.

Denn seit rund 20 Jahren liegt Deutschland bei den öffentlichen Investitionen weit unter dem EU-Durchschnitt, der Bedarf ist gigantisch: 600 Milliarden Euro brauchen wir in den kommenden zehn Jahren, wenn Deutschland den Pfad anämischen Wirtschaftswachstums verlassen soll. Diese Zahl haben wir vor Kurzem in einer Studie mit dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) erhoben. Nichts davon ist budgetiert, und selbst die geplanten, aber unzureichenden Haushaltsansätze sind nun gefährdet.

Unsere Schätzungen sind eher konservativ. So werden allein für die Anpassung an den Klimawandel - etwa die energetische Sanierung von Gebäuden oder den Ausbau der Energienetze - 200 Milliarden Euro benötigt. Hinzu kommen Investitionen in Verkehrswege und ÖPNV, Bildungsinfrastruktur oder den Sanierungsstau in den Kommunen. Will die Bundesregierung ernsthaft bis zum Ende des Jahrzehnts warten, bis sie damit anfängt? Immerhin: 20 Milliarden Euro hat der Bundeskanzler bis 2028 für den sozialen Wohnungsbau versprochen – die Bedarfe sind allerdings fast doppelt so hoch: knapp 37 Milliarden über zehn Jahre.

Und es sind ja nicht nur die Investitionen. Die letzten Steuerreformen gab es unter Helmut Kohl und Gerhard Schröder, eine neue ist überfällig: Unternehmen zahlen in Deutschland inzwischen so viel Steuern wie fast nirgends sonst. Daran ändern auch die angekündigten Maßnahmen der Bundesregierung wie die Verlängerung der degressiven Abschreibung nicht viel. Und mit Russland ist eine zweite große Aufgabe hinzugekommen. Wie sich zeigt, sind die 100 Milliarden aus dem Sonderfonds für die Bundeswehr nach 2027 erschöpft. Woher die heute versprochenen 80 Milliarden ab 2028 kommen sollen, bleibt offen. Jetzt schon klar ist: Angesichts einer beim Verteidigungsetat in den vergangenen Dekaden erwirtschafteten Friedensdividende von rund 650 Mrd. Euro sind insgesamt vermutlich 250 bis 300 Milliarden Euro nötig, um die Bundeswehr verteidigungsfähig zu machen. 

Wer unter diesen Umständen so tut, als gäbe es jenseits von Abschaffung oder Beibehaltung der Schuldenbremse keine Optionen, stellt sich bewusst ahnungslos. Man könnte etwa einen kreditfinanzierten Infrastrukturfonds einrichten, der wie bei der Bundeswehr in der Verfassung festgeschrieben wäre. Man könnte auch behutsam eine Nettoinvestitionsregel in die Schuldenbremse integrieren. Oder man könnte eine Ausgabenregel einführen, die nachfinanzierte Steuerreformen möglich macht. Was es auch ist: Es gibt Handlungsspielraum, mit höheren Investitionsausgaben und Strukturreformen auch unter den neuen Regeln des EU-Fiskalpakts. Höchste Zeit, dass die Bundesregierung ihn nutzt – und die echten Probleme angeht.
 

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