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Hagen Lesch / Lennart Eckle IW-Report Nr. 32 6. August 2024 Tarifpolitischer Bericht 1. Halbjahr 2024: Nachschlagdebatten belasten Tarifverhandlungen

Im ersten Halbjahr 2024 fanden in zwanzig näher untersuchten Branchen des IW-Tarifmonitorings insgesamt 23 Tarifverhandlungen statt. Eine Analyse zeigt, dass es in vielen dieser Verhandlungen sehr konfliktreich zuging.

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Nachschlagdebatten belasten Tarifverhandlungen
Hagen Lesch / Lennart Eckle IW-Report Nr. 32 6. August 2024

Tarifpolitischer Bericht 1. Halbjahr 2024: Nachschlagdebatten belasten Tarifverhandlungen

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Im ersten Halbjahr 2024 fanden in zwanzig näher untersuchten Branchen des IW-Tarifmonitorings insgesamt 23 Tarifverhandlungen statt. Eine Analyse zeigt, dass es in vielen dieser Verhandlungen sehr konfliktreich zuging.

Die maximale Eskalationsstufe – sie gibt auf einer 7-stufigen Skala an, bis zu welcher Stufe ein Konflikt eskaliert – lag im Durchschnitt bei 3,0. Das ist einer der höchsten Werte, die seit dem Beginn des Untersuchungszeitraums im Jahr 2000 gemessen wurden. Im langjährigen Durchschnitt der Jahre liegt die maximale Eskalationsstufe bei 2,4. Die Konfliktintensität – sie summiert die im Laufe einer Tarifauseinandersetzung erreichten Eskalationsstufen – lag bei durchschnittlich 11,0. Dies ist deutlich mehr als die 8,4 Punkte, die im langfristigen Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2024 erreicht wurden und der vierthöchste Wert seit dem Jahr 2000. Damit gingen die Nachschlagdebatten über den Ausgleich der krisenbedingten Reallohnverluste – wie schon im Jahr 2023 – mit konfliktreichen Tarifauseinandersetzungen einher. Im letzten Jahr wurden im Durchschnitt 13,8 Konfliktpunkte erreicht.

Am ruppigsten ging es im Handel zu. Zwar eskalierten die Auseinandersetzungen im Einzelhandel sowie im Groß- und Außenhandel jeweils „nur“ bis zum Warnstreik (Stufe 4 der Skala). Da es aber immer wieder erfolglose Verhandlungsrunden gab, in deren Anschluss Warnstreiks stattfanden, summierten sich die Konflikthandlungen auf 67 Punkte im Einzel- und auf 64 Punkte im Groß- und Außenhandel. Konfliktreich ging es auch im Verkehrssektor zu. Bei der Deutschen Bahn mit der GDL, bei den Flugbegleitern der Deutschen Lufthansa und bei den Piloten ihrer neuen Tochter Discover Airlines kam es jeweils zum Arbeitskampf (Stufe 7). Dabei summierten sich die verschiedenen Eskalationshandlungen bei der Deutschen Bahn auf 61 Punkte, bei Discover Airlines auf 34 und bei der Lufthansa auf 19 Punkte. Weit überdurchschnittliche Werte gab es mit 33 Punkten auch beim Bodenpersonal der Lufthansa, mit 30 Punkten in der Druckindustrie und mit 28 Punkten bei der Deutschen Telekom. Die nahezu reibungslosen Verhandlungen in der Chemischen Industrie, bei den Entgeltverhandlungen für das Kabinenpersonal von Eurowings und in der Flugsicherung zeigen, dass Tarifkonflikte auch harmonisch beigelegt werden können. In der traditionell sozialpartnerschaftlich geprägten Chemischen Industrie wurde lediglich zu Beginn der Verhandlungen eine Streikdrohung ausgesprochen und bei der Flugsicherung kam es in den über zwei Jahre laufenden Verhandlungen über eine umfassende Reform des Tarifwerks lediglich zu einem zwischenzeitlichen Verhandlungsabbruch.

Im zweiten Halbjahr 2024 beginnen unter anderem die Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektro-Industrie, in der Papiererzeugenden Industrie, im Öffentlichen Dienst (Bund und Kommunen) sowie bei der Deutschen Post. Vor großen Herausforderungen stehen die Tarifvertragsparteien in den Verhandlungen für die Metall- und Elektro-Industrie, wo die IG Metall trotz schwacher Branchenkonjunktur 7 Prozent mehr Lohn für ein Jahr gefordert hat. Hier sorgte zuletzt eine außerhalb der offiziellen Forderung erhobene Debatte über einen Mitgliedervorteil für IG-Metall-Mitglieder für Aufregung. In der Papiererzeugenden Industrie wird – wie in der Chemischen Industrie – eher geräuschlos verhandelt. Allerdings könnten die Verhandlungen durch Forderungen der Chemiegewerkschaft nach einem Mitgliederbonus schwieriger als gewohnt werden. Im Öffentlichen Dienst und bei der Deutschen Post laufen die Entgelttarifverträge noch bis zum Jahresende. Da bis dahin eine Friedenspflicht gilt, ist das Konfliktpotenzial begrenzt. Wenngleich einige der bereits laufenden Konflikte aktuell eskalieren – bei den öffentlichen Banken und in der Süßwarenindustrie haben die Gewerkschaften im Juli erste Warnstreiks durchgeführt – dürfte die Konfliktintensität der Tarifauseinandersetzungen im zweiten Halbjahr 2024 abnehmen.

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Nachschlagdebatten belasten Tarifverhandlungen
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