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Malte Küper IW-Kurzbericht Nr. 43 12. Juli 2024 LNG: Die Bedeutung der US-Importe für die deutsche Gasversorgung

Seit dem Ukraine-Krieg hat Flüssiggas aus den USA erheblich an Bedeutung gewonnen und ist nun ein zentraler Bestandteil der deutschen Gasversorgung. Der mittlerweile aufgehobene US-Genehmigungsstopp war kurzfristig unkritisch, verdeutlicht jedoch mögliche langfristige Versorgungsrisiken.

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Die Bedeutung der US-Importe für die deutsche Gasversorgung
Malte Küper IW-Kurzbericht Nr. 43 12. Juli 2024

LNG: Die Bedeutung der US-Importe für die deutsche Gasversorgung

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Seit dem Ukraine-Krieg hat Flüssiggas aus den USA erheblich an Bedeutung gewonnen und ist nun ein zentraler Bestandteil der deutschen Gasversorgung. Der mittlerweile aufgehobene US-Genehmigungsstopp war kurzfristig unkritisch, verdeutlicht jedoch mögliche langfristige Versorgungsrisiken.

Der sprunghafte Anstieg der Erdgaspreise seit Sommer 2021 und die durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine ausgelöste globale Energiekrise, haben die Industrie in Deutschland hart getroffen. Was folgte, war ein Produktionseinbruch in den energieintensiven Branchen. Erst in diesem Jahr konnte durch die sinkenden Energiepreise wieder ein leichter Anstieg des Produktionsniveaus verzeichnet werden, das Vorkrisenniveau ist jedoch bei Weitem noch nicht wieder erreicht.

Bedeutung des US-LNG für Europa

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat Deutschland und viele andere europäische Länder zu einer grundlegenden Neuorganisation der Gasversorgung gezwungen. Lag der Anteil russischer Gasimporte (Pipeline und LNG) an den gesamten Gasimporten der EU im Jahr 2021 bei 45 Prozent, waren es 2023 nur noch 14,8 Prozent (Pipeline: 8,7 Prozent, LNG: 6,1 Prozent) (Europäischer Rat, 2024). Die Lücke in der Gasversorgung konnte dank eines deutlichen Anstiegs bei den Importen von verflüssigtem Erdgas (LNG) reduziert werden. Vor allem die USA, die 2023 fast die Hälfte des nach Europa importierten LNG lieferten, erhöhten ihre Lieferungen gegenüber den Vorjahren deutlich. International sind die USA in den vergangenen Jahren zum größten Exporteur von Flüssiggas aufgestiegen (EIA, 2024) und werden diese Position nach aktuellen Prognosen auch in den kommenden Jahren behaupten können (IEA, 2023). Fast das gesamte Marktwachstum des weltweiten LNG-Angebots zwischen 2019 und 2023 ist auf den Zuwachs bei den US-Exporten zurückzuführen, das Angebot anderer Länder blieb dagegen nahezu konstant (Cedigaz, 2024).

Mittlerweile sind die USA hinter Norwegen (30,3 Prozent) der zweitgrößte Gaslieferant der EU (19,4 Prozent). Auch Deutschland setzt auf das US-amerikanische LNG: Die neu errichteten LNG-Terminals an der deutschen Nord- und Ostseeküste wurden im Jahr 2023 zu 84 Prozent mit LNG aus den USA beliefert (BDEW, 2024). Indirekt importierte die Bundesrepublik zudem weitere Mengen an US-amerikanischem LNG über Terminals in Belgien, den Niederlanden und Frankreich. Ausgehend von den deutschen Importen aus diesen drei Ländern 2023 ergeben sich dadurch zusätzlich knapp 72 TWh an indirekten Importen aus den USA. Damit beträgt der gesamte Anteil des LNG aus den USA an den deutschen Gasimporten etwa 13,5 Prozent.

Eine vergleichbare Abhängigkeit, wie zuvor von russischen Lieferungen, besteht somit nicht, da die Anteile an der Versorgung deutlich geringer sind und die Terminals im Unterschied zu bestehenden Pipelines ebenso von anderen Anbietern beliefert werden können. Gleichwohl ist LNG aus den USA innerhalb kürzester Zeit ein zentraler Bestandteil der deutschen und europäischen Gasversorgung geworden – und damit von hoher Bedeutung für die Perspektive der energieintensiven Industrien in Deutschland in den kommenden Jahren.   

Genehmigungsstopps für US-Terminals

Im Januar 2024 hatte die US-Regierung einen vorübergehenden Stopp für ausstehende Genehmigungen neuer LNG-Exportprojekte ausgesprochen, um die ökologischen und ökonomischen Auswirkungen steigender LNG-Exporte zu überprüfen. Während amerikanische Exporte auf dem Seeweg bis 2016 keine nennenswerte Rolle gespielt haben, wird mittlerweile knapp 15 Prozent des dort geförderten Erdgases verflüssigt als LNG exportiert. Bis 2030 könnte der Wert auf 20 bis 30 Prozent ansteigen (Center on Global Energy Policy, 2024). Vor diesem Hintergrund ist es zunächst verständlich zu untersuchen, ob der zunehmende Flüssiggasexport zu einem Anstieg der Verbraucherpreise in den USA geführt hat sowie ob die Einhaltung der selbst gesteckten Klimaziele dadurch gefährdet wird. Auch die lokalen Umweltauswirkungen des Frackings, das für den Großteil der US-Gasförderung genutzt wird, sind Teil der Überprüfung. Darüber hinaus dürften es aber auch wahlkampftaktische Motive gewesen sein, die die demokratische Regierung wenige Monate vor der nächsten Wahl zu dieser Entscheidung bewegt haben. Denn in der amerikanischen Bevölkerung gibt es parteiübergreifend eine große Unterstützung, die Menge der LNG-Exporte zu reduzieren, wie eine Umfrage aus dem November 2023 zeigt (Data for Progress, 2023). Darin gaben 60 Prozent der befragten US-Amerikanerinnen und Amerikaner an, eine Begrenzung der Exportmengen zu unterstützen, nur 30 Prozent widersprechen dieser Forderung. Vor allem die Sorge vor steigenden inländischen Energiepreisen beschäftigt die Befragten.  

Der Genehmigungsstopp wurde mittlerweile durch ein Bundesgericht wieder aufgehoben, sodass die eingereichten Anträge nun wieder bearbeitet werden müssen. Das Energieministerium erklärte daraufhin, mit dem Urteil nicht einverstanden zu sein und den Beschluss prüfen zu wollen. Für Deutschland und die EU wären durch den Genehmigungsstopp kurz- und mittelfristig ohnehin keine negativen Auswirkungen auf die Gasversorgung zu befürchten gewesen. Zwar waren nach Angaben des Centers on Global Energy Policy der Columbia University (2024) vom temporären Genehmigungsstopp insgesamt 17 LNG-Projekte betroffen. In der Praxis seien jedoch nur vier dieser Projekte in ihrer Entwicklung überhaupt so weit fortgeschritten, als dass der Stopp sie verzögert hätte. Zudem betraf der Stopp nur Projekte in der Planungsphase, die frühestens ab Ende der 2020er-Jahre in Betrieb gehen könnten und hätte somit kurz- und mittelfristig keine Auswirkungen auf die verfügbaren Exportkapazitäten. Welche langfristigen Effekte durch einen tatsächlichen Genehmigungsstopp drohen, ist dagegen unklar.

Schon vor der Entscheidung des Bundesgerichts war es unwahrscheinlich, dass der temporäre Genehmigungsstopp die US-Wahl überdauert hätte. Denkbar war vielmehr, dass die Umweltschutzauflagen für neue LNG-Projekte verschärft und Methanemissionen in der LNG-Produktionskette stärker reguliert würden. Donald Trump, der seit jeher ein starker Befürworter von LNG-Exporten war und Umweltschutzauflagen geringe Bedeutung beimisst, hatte ohnehin bereits angekündigt, den Ausbaustopp für neue Exportterminals im Falle eines Wahlsieges aufheben zu wollen.

Sollte es doch zu einem dauerhaften Genehmigungsstopp oder einer verspäteten Inbetriebnahme von Projekten kommen, würde sich das verfügbare LNG-Angebot auf den Weltmärkten verringern. Dass dadurch in fünf bis zehn Jahren auf dem globalen LNG-Markt Engpässe und Preisanstiege zu erwarten wären, lässt sich jedoch angesichts der hohen angebots- und nachfrageseitigen Unsicherheiten nicht pauschal ableiten. Die Prognosen der zukünftigen LNG-Nachfrage – insbesondere aus Asien, wo der Gasbedarf anders als in Europa in den nächsten Jahren weiter steigen wird – unterliegt enormen Schwankungen und ist stark abhängig vom realisierten Ambitionsniveau der globalen Klimapolitik und des wirtschaftlichen Fortschritts der Entwicklungs- und Schwellenländer. Auch auf der Angebotsseite bestehen hohe Unsicherheiten, etwa bei der Frage, ob Russland einige seiner geplanten und teilweise sanktionierten LNG-Projekte realisieren kann. Langfristige Angebotsengpässe in Folge eines – aus heutiger Sicht unwahrscheinlichen – Genehmigungsstopps von US-LNG Projekten können daher nicht ausgeschlossen werden.

Langfristige Versorgungs(un)sicherheit?

Die US-Entscheidung hat hierzulande wenige Monate vor der US-Wahl Unsicherheiten hinsichtlich der Zuverlässigkeit und Beständigkeit der USA als zukünftiger LNG-Exporteur und Energiepartner geweckt. Nach mehr als zwei Jahren anhaltender Energiekrise sind die Sorgen vor erneuten Versorgungsengpässen und Preisanstiegen weiterhin groß. Zwar steht die Gasversorgung mittlerweile wieder auf einem soliden Fundament, das relative Energiekostenniveau und die Preisstabilität von vor der Krise sind aber noch nicht wieder erreicht. Durch den weltweiten Transport und Handel ist der enge LNG-Markt anfälliger für Preisschwankungen als es bei den bisherigen Pipeline-Importen der Fall war. Einzelne Ereignisse wie der Ausfall einer größeren LNG-Exportanlage in den USA oder eine besonders hohe Gasnachfrage in Folge überdurchschnittlich kalter Temperaturen in China, haben im Gegensatz zu der Zeit russischer Pipelinelieferungen nun auch hierzulande Einfluss auf die Preise.

Ein erneuter Anstieg der Gaspreise würde die weitere Erholung der deutschen Wirtschaft stark beeinträchtigen. Die Grundstoffindustrie wäre davon besonders betroffen, denn viele der dortigen Unternehmen haben kurz- und mittelfristig nur wenige Möglichkeiten ihre Anlagen auf klimaneutrale Energieträger umzustellen. Da bei vielen energieintensiven Prozessen eine (vollständige) Elektrifizierung technisch oder ökonomisch kaum oder nicht möglich ist, sind diese Betriebe auf alternative klimaneutrale Energieträger wie Wasserstoff oder Biomasse angewiesen. Deren Verfügbarkeit ist aber auf absehbare Zeit nicht in ausreichendem Maß gegeben. Außerdem klafft weiterhin eine enorme Wirtschaftlichkeitslücke bei der Umstellung von fossilem Erdgas auf die kurz- bis mittelfristig deutlich teureren, klimaneutralen Energieträger.

Erdgas wird für große Teile der Industrie daher auch bis in die 2030er Jahre ein wichtiger Energieträger bleiben. Um diesen Bedarf zu decken, sind die LNG-Lieferungen aus den USA unverzichtbarer Bestandteil der europäischen Gasversorgung geworden. Auch wenn kurz- und mittelfristig durch den Genehmigungsstopp keine Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit zu befürchten sind, bleiben langfristige Folgen nicht ausgeschlossen. Um sich gegen dieses Szenario zu wappnen, muss der Markthochlauf klimaneutraler Energieträger beschleunigt und die klaffende Wirtschaftlichkeitslücke gegenüber den heute eingesetzten Brennstoffen geschlossen werden, um auch fossiles Erdgas langfristig ersetzen zu können.

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