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Jörg Schmidt IW-Kurzbericht Nr. 82 29. Oktober 2021 Arbeitskräftefluktuation im Jahr 2020: Pandemie hinterlässt Spuren

Die Arbeitskräftefluktuation liegt in Deutschland seit Jahren auf einem ähnlichen Niveau, sie ist aber im Zuge der Corona-Pandemie im Jahr 2020 gesunken. Grundsätzlich weisen Männer, Jüngere, Auszubildende und Geringqualifizierte zwar höhere Fluktuationsraten auf, im Vergleich zum Vorjahr reduzierten sich die Arbeitskräftebewegungen aber bei den untersuchten Gruppen in einem relativ ähnlichen Umfang.

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Arbeitskräftefluktuation im Jahr 2020: Pandemie hinterlässt Spuren
Jörg Schmidt IW-Kurzbericht Nr. 82 29. Oktober 2021

Arbeitskräftefluktuation im Jahr 2020: Pandemie hinterlässt Spuren

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die Arbeitskräftefluktuation liegt in Deutschland seit Jahren auf einem ähnlichen Niveau, sie ist aber im Zuge der Corona-Pandemie im Jahr 2020 gesunken. Grundsätzlich weisen Männer, Jüngere, Auszubildende und Geringqualifizierte zwar höhere Fluktuationsraten auf, im Vergleich zum Vorjahr reduzierten sich die Arbeitskräftebewegungen aber bei den untersuchten Gruppen in einem relativ ähnlichen Umfang.

Mit Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 hat sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt schlagartig verändert. Nach dem zunächst erfreulichen Rückgang der Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2019 und der im Trend ansteigenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung folgte ein Bruch, der aufgrund des massiven Einsatzes von Kurzarbeitergeld abgefedert werden konnte. Die zunächst deutlich angestiegene Anzahl von Arbeitslosen baute sich im Verlauf des Jahres zum Teil wieder ab und die Beschäftigung nahm ab Mitte des Jahres bis November 2020 wieder zu (Klös/Schäfer, 2021). Dennoch hat die Corona-Pandemie deutliche Spuren am Arbeitsmarkt hinterlassen.

Als Teil dieser Entwicklung ist auch von Interesse, wie sich die Dynamik der Ein- und Austritte bezogen auf die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung entwickelt hat. Entsprechende Daten der Bundesagentur für Arbeit (BA) liegen derzeit bis Ende des Jahres 2020 vor. Mit Hilfe der Fluktuationsrate können die Arbeitskräftebewegungen veranschaulicht werden (vgl. Hinweis zur Berechnung). Diese gibt die durchschnittliche Summe der Personalwechsel als Anteil am durchschnittlichen Beschäftigtenbestand einer Periode an: Je häufiger demnach Beschäftigungsverhältnisse beendet und/ oder begonnen werden (bezogen auf den Beschäftigtenbestand), umso größer ist die Fluktuationsrate. Diese betrug zuletzt vor der Corona-Pandemie 33,1 Prozent (im Jahr 2019, BA, 2021a).

Am aktuellen Rand ist die Fluktuationsrate im Jahr 2020 nach eigenen Berechnungen auf Basis der BA-Daten (BA, 2021b; 2021c; 2021d) auf 29,8 Prozent gesunken und liegt damit auch unter den Fluktuationsraten während der Finanzkrise (vgl. 31,2 Prozent im Jahr 2009, BA, 2021a). Allerdings bewegt sich die Fluktuationsrate seit rund 15 Jahren auf einem ähnlichen Niveau (3,6 Punkte zwischen Minimal- und Maximalwert, vgl. BA, 2021a).

Die Anzahl der begonnenen Beschäftigungsverhältnisse dürfte primär ein Abbild der Arbeitskräftenachfrage sein. Wenn diese zurückgeht, wie etwa zu Beginn der Corona-Pandemie, haben Unternehmen mehrere Möglichkeiten. Sie können zum Beispiel mit einer Arbeitszeitverkürzung reagieren und/oder Einstellungsstopps verhängen und/oder müssen Beschäftigte entlassen. Die Zurückhaltung bei den Neueinstellungen lässt sich an der Anzahl der neu gemeldeten sozialversicherungspflichtigen Stellen ablesen, die gerade zu Beginn der Corona-Pandemie (verglichen mit dem jeweiligen Vorjahresmonat) besonders stark zurückgegangen ist. Allerdings hat sich die Entwicklung bis Ende des Jahres 2020 stabilisiert, wenn auch nicht das gleiche Niveau wie vor der Pandemie erreicht wurde (BA, 2021e).

Wenn sich die Konjunkturaussichten verbessern und die Arbeitsnachfrage zunimmt, werden tendenziell mehr Stellenangebote ausgeschrieben und die Chancen für einen Jobwechsel, aber auch für einen Einstieg am Arbeitsmarkt steigen. Gleichzeitig nimmt das Risiko einer Entlassung ab. Daher dürften Kündigungen durch Beschäftigte gegenüber anderen Austrittsgründen, wie etwa Entlassungen, Versetzungen, etc. an Bedeutung gewinnen. Wie Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigen, machen Kündigungen durch die Beschäftigten seit Jahren den am häufigsten genannten Grund unter allen Personalabgängen auf der Ebene der Betriebe aus. Dies gilt im Übrigen – wenn auch mit weniger deutlichem Abstand – für das Jahr 2020 (IAB, 2021). Zwar bilden die Daten nur jeweils das erste Halbjahr ab, allerdings ist laut BA-Statistiken im zweiten Halbjahr 2020 nicht von einer erhöhten Bedeutung von Entlassungen auszugehen, wenn man die Anzahl von Neuzugängen in Arbeitslosigkeit aus einer Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt als Indikator heranzieht (BA, 2021f). Hinzu kommt, dass Beschäftigte eher risikoavers sein dürften und daher in Krisenzeiten den Wechsel des Arbeitsplatzes eher scheuen.

Wird die Fluktuation nach personenbezogenen Merkmalen differenziert ausgewertet, lassen sich zum Teil strukturelle Unterschiede sowie Unterschiede zwischen den Jahren 2019 und 2020 finden (Abbildung). Demnach fällt die Fluktuation bei Männern im Durchschnitt höher als bei Frauen aus, aber dieser Abstand hat von 2019 bis 2020 betragsmäßig abgenommen. Hier dürfte die unterschiedliche Verteilung der Geschlechter über die Branchen relevant sein, allerdings ist dabei auch die relative Größe einer Branche für die gesamte Volkswirtschaft zu beachten (vgl. BA, 2021g). Zwar ist die größte betragsmäßige Reduktion der Fluktuationsraten im Gastgewerbe zu verzeichnen. Da diese Branche aber ein relativ ausgeglichenes Geschlechterverhältnis aufweist, trägt diese Änderung nur wenig zur Erklärung der Geschlechterdifferenz bei. Gesamtwirtschaftlich wirkt sich hingegen die Differenz der Fluktuationsraten im verarbeitenden Gewerbe besonders stark aus. Dies bedeutet den größten Geschlechtereffekt einer Einzelbranche, da der Frauenanteil relativ gering und das verarbeitende Gewerbe – bezogen auf alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten – die größte Branche ist.

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Hinsichtlich des Alters fällt auf, dass Jüngere im Alter von unter 25 Jahren eine relativ hohe Fluktuation aufweisen. Dies dürfte vor allem auf den Einstieg in das Arbeitsleben zurückzuführen sein, etwa nach dem Studium oder mit Eintritt in eine Berufsausbildung oder beim Übergang in eine Beschäftigung. Daneben könnte eine berufliche Neu- oder Umorientierung – zum Beispiel während der Probezeit – bei Jüngeren eine größere Rolle spielen. Dies könnte auch zur Erklärung der relativ hohen Fluktuationsrate bei Auszubildenden beitragen, die zwar auch aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheit während der Corona-Pandemie zurückgegangen sein dürfte, allerdings weniger stark abgenommen hat als im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt.

Mit Blick auf den Bildungsabschluss lässt sich erkennen, dass bei Personen ohne Berufsabschluss eine deutlich höhere Fluktuationsrate zu verzeichnen ist als bei Personen, die über mindestens einen beruflichen Abschluss verfügen. Geringqualifizierte dürften häufiger in Tätigkeiten beschäftigt sein, die weniger berufsspezifisches Wissen erfordern und die bei Kündigungen oder Entlassungen schneller wiederbesetzt werden können. Bei Akademikern ist hingegen eine etwas höhere Fluktuation als bei Personen mit beruflichem Bildungsabschluss zu beobachten. Denkbar wäre, dass Karriereschritte zumindest zum Teil auch mit einem Wechsel des Arbeitgebers verbunden sind und dies (relativ) häufiger bei Akademikern vorkommt.

Die Daten verdeutlichen, dass die Arbeitskräftefluktuation seit Jahren nur wenig variiert und während der Corona-Pandemie im Jahr 2020 gesunken ist. Die Fluktuationsrate hat in relativ ähnlichem Umfang für die hier betrachteten Personenmerkmale abgenommen. Fluktuation kann bedeuten, dass beispielsweise Geringqualifizierte Einstiegsmöglichkeiten finden, dass Beschäftigte neue Verdienst- und Karrierechancen in anderen Unternehmen suchen, dass Arbeitskräfte entlassen, aber auch Auszubildende und neue Arbeitskräfte eingestellt werden. Diese Beispiele zeigen, dass Prozesse der Re-Allokation auf dem Arbeitsmarkt notwendig und Ausdruck eines funktionierenden Arbeitsmarkts sind. Die Frage, inwieweit eine „zu hohe“ Fluktuation vorliegt, ist dabei ebenso wenig sachgemäß, wie die Frage nach einer zu geringen Fluktuation. Vielmehr sollten Änderungen der Fluktuation Anlass für weitergehende Analysen sein.

Hinweis zur Berechnung der Fluktuationsrate: Die Fluktuationsrate wird in Anlehnung an BA (2021a) berechnet und ergibt sich aus der hälftigen Summe von begonnenen und beendeten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen einer Periode bezogen auf den Beschäftigtenbestand (hälftiger Jahresanfangs- und Jahresendbestand).

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