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Maike Haag / Simon Schumacher IW-Kurzbericht Nr. 50 31. Juli 2024 Pharmazeutische Forschungszentren: Patentaktivität braucht räumliche Nähe

Die Innovationszentren der Pharmaindustrie sind in Deutschland regional konzentriert und die Erfindersitze liegen in unmittelbarer Nähe zu den Unternehmensstandorten. Eine Umsetzung der Pharmastrategie könnte zukünftige Innovationen erleichtern.

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Patentaktivität braucht räumliche Nähe
Maike Haag / Simon Schumacher IW-Kurzbericht Nr. 50 31. Juli 2024

Pharmazeutische Forschungszentren: Patentaktivität braucht räumliche Nähe

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die Innovationszentren der Pharmaindustrie sind in Deutschland regional konzentriert und die Erfindersitze liegen in unmittelbarer Nähe zu den Unternehmensstandorten. Eine Umsetzung der Pharmastrategie könnte zukünftige Innovationen erleichtern.

Die Pharmaindustrie gilt als eine der innovativsten Spitzentechnologiebranchen in Deutschland. Im Jahr 2021 reinvestierten die Unternehmen durchschnittlich 11,6 Prozent ihres Umsatzes in interne Forschungsprojekte und Auftragsforschungen an Dritte (Stifterverband, 2023). Dies ist Voraussetzung für als auch Folge der komplexen und innovativen Aufgaben entlang der pharmazeutischen Wertschöpfungskette. Denn die Branche ist am Standort schwerpunktmäßig mit der Forschung, Entwicklung und der Produktion technologisch komplexer, hochinnovativer Wirkstoffe und Arzneimittel befasst. Bereits auf Ebene der Bundesländer zeigen sich dabei regionale Ballungen mit besonders hoher Ansiedlungsdichte pharmazeutischer Unternehmen im Süden und Westen des Landes sowie in der Hauptstadt Berlin (vfa, 2024), eingebettet in gut vernetzte Forschungs- und Wirtschaftscluster. Eine Auswertung der IW-Patentdatenbank zeigt, dass sich diese regionale Ballung auch in den regionalen Patentaktivitäten der pharmazeutischen Industrie widerspiegelt.

Methodik

Erfolgreiche Patentanmeldungen spielen für die Zukunftsfähigkeit der heimischen Industrie im globalen Wettbewerb eine entscheidende Rolle. Die IW-Patentdatenbank erfasst in einem integrierten Ansatz alle Patentanmeldungen des Deutschen Patent- und Markenamts, des Europäischen Patentamts sowie der Weltorganisation für geistiges Eigentum, die seit 1994 Schutzwirkung für Deutschland oder darüber hinaus anstreben. Die Erfassung der Branche erfolgt auf Basis der amtlichen Klassifikation der Wirtschaftszweige 2008. Aufgrund der Offenlegungsfrist von Patentanmeldungen bildet 2021 das zum Auswertungszeitpunkt aktuelle Jahr. Die vorliegende Auswertung basiert auf Patentanmeldungen aus dem Pharmasegment mit einem Anmeldejahr zwischen 2017 und 2021 aller gewinnerzielungsorientierten Unternehmen, die im Zeitraum 1994 bis 2021 mindestens eine Patentanmeldung hervorgebracht haben, an der Erfindende aus Deutschland beteiligt waren. Bei diesen Unternehmen handelt es sich überwiegend um Hersteller pharmazeutischer Grundstoffe oder Spezialitäten sowie um auf den Pharmabereich spezialisierte Forschungs- oder IT-Dienstleister. Vereinfachend wird diese Grundgesamtheit als pharmazeutisch tätige Unternehmen bezeichnet. Zur Untersuchung der regionalen Verteilung der Patentaktivität wird der Erfindersitz der entsprechenden Anmeldung herangezogen. Dabei handelt es sich in der Regel um den Wohnsitz. Die Patentanmeldungen werden in kumulierter, fraktionaler Zählweise zugeteilt: Werden in einer Patentanmeldung zwei Erfindende mit unterschiedlichem Sitz aufgeführt, wird diese Anmeldung jeweils zur Hälfte dem entsprechenden Ort zugerechnet.

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Regionale Patentaktivitäten

Pharmazeutisch tätige Unternehmen waren zwischen 2017 und 2021 mit 4.341 Patentanmeldungen für 1,8 Prozent aller Anmeldungen am Forschungsstandort Deutschland verantwortlich. Bei mehr als 90 Prozent dieser Patentanmeldungen liegt der Wohnsitz des Erfindenden in einem der sechs Bundesländer Hessen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz oder Berlin. Der Großteil der Patentaktivität konzentriert sich auf wenige Regionen. So lässt sich anhand des Erfindersitzes der Kreis oder die kreisfreie Stadt identifizieren, aus der die Unternehmen ihre Innovationen schöpfen.

Das länderübergreifende Pharmacluster in Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, welches sich rund um Frankfurt und Darmstadt und über die Ländergrenzen Baden-Württembergs und Rheinland-Pfalz erstreckt, ist historisch gewachsen. Die hier angesiedelten Unternehmen profitieren besonders von einer starken Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.

Hessen beweist sich als herausragender deutscher Pharmastandort und ist nicht nur mit Blick auf die Zahl pharmazeutischer Patentaktivitäten das stärkste Bundesland. Pharmazeutisch tätige Unternehmen tragen am Standort über 8 Prozent aller Patentanmeldungen im Betrachtungszeitraum, was die Bedeutung der Pharmaindustrie für den Innovationsstandort Hessen unterstreicht. Die beiden Städte Frankfurt und Darmstadt vereinen sowohl landes- als auch bundesweit die meisten pharmazeutischen Patentanmeldungen auf sich. Auch in Rheinland-Pfalz leisten pharmazeutisch tätige Unternehmen einen signifikanten Beitrag zur Innovationstätigkeit am Standort. Sie verantworten etwa 7 Prozent aller im Bundesland angemeldeten Patente zwischen 2017 und 2021. Der Landkreis Mainz-Bingen stach mit 270 angemeldeten Patenten heraus. Dabei ist zu vermuten, dass der Standort zukünftig weiter an Bedeutung gewinnen wird. Auch, weil die hier angesiedelte Pharmaindustrie eine bedeutende Rolle in der Impfstoffentwicklung eingenommen hat. Eine mögliche Veränderung der pharmazeutischen Patentaktivität der Region zeigt sich allerdings noch nicht in der Auswertung. In Baden-Württemberg tragen pharmazeutisch tätige Unternehmen mit einem Anteil von rund 1 Prozent im Bundesländervergleich unterdurchschnittlich zum Patentgeschehen bei. Das ist aber weniger auf eine Schwäche des Pharmastandorts zurückzuführen, denn mit 732 Patentanmeldungen zählt das Bundesland zu den im Pharmasegment aktivsten. Vielmehr ist der Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg insgesamt aufgrund seiner gut aufgestellten und diversifizierten Branchenstruktur besonders patentaktiv. Hier wohnen die meisten Pharma-Erfindenden in Mannheim und Tübingen.

In Bayern sind pharmazeutisch tätige Unternehmen mit einem Anteil von etwa 1 Prozent aller Patente im Bundesländervergleich unterdurchschnittlich aufgestellt. Doch auch hier gilt: Aufgrund der spezifischen Industriestruktur Bayerns kommen viele Patente aus dem Süden der Republik. Mit 626 pharmazeutischen Patentanmeldungen im Betrachtungszeitraum belegt Bayern Platz 4 im Bundesländerranking. In Bayern stammen die meisten Patentanmeldungen von Erfindenden aus dem Kreis Weilheim-Schongau (216) und der Landeshauptstadt München (175). Das Biotechnologie Cluster in und um München hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der führenden in Europa entwickelt. In enger räumlicher Nähe sind universitäre und außeruniversitäre Einrichtungen mit interdisziplinärem Fokus auf Life Sciences und Biotechnologie angesiedelt (Diez/Breul, 2023).

Der Pharmastandort Nordrhein-Westfalen ist in Absolutwerten ein Top-Player in Bezug auf die pharmazeutische Patentaktivität und belegt den zweiten Platz knapp vor Baden-Württemberg. Die beiden in Nordrhein-Westfalen patentaktivsten Kreise Köln und Mettmann befinden sich in Pendeldistanz zu den pharmazeutisch tätigen Unternehmen in der Region. In relativen Zahlen befindet sich Nordrhein-Westfalen mit einem Anteil von 2,1 Prozent allerdings im Mittelfeld.

Berlin, Bundesland und kreisfreie Stadt zugleich, verzeichnet 248 pharmazeutische Patentanmeldungen im Betrachtungszeitraum. Im Ranking der Kreisstatistik zählt Berlin nach Frankfurt, Darmstadt und Mainz-Bingen zu den Top-4 der patentaktiven Kreise.

In nahezu jedem der betrachteten Bundesländer wird deutlich: Die Verteilung des Erfindersitzes korreliert maßgeblich mit den Standorten der Betriebe patentaktiver pharmazeutisch tätiger Unternehmen (vfa, 2024). Dabei handelt es sich aber weniger um ein Spezifikum der Pharmaindustrie als vielmehr um eine allgemeine Beobachtung, dass sich der Erfindersitz häufiger in Pendeldistanz zu Unternehmensstandorten einzelner Branchen befindet. Das gilt ebenso für die in besonderem Maße global aufgestellte Pharmaindustrie.

Potentiale stärken

Im internationalen Vergleich hat Deutschland als Innovationsstandort mittlerweile an Boden verloren (EPO, 2024). Vor allem in der Translation von der Grundlagenforschung bis zur Durchführung klinischer Studien zeigen sich Schwächen am Standort. Aktuelle Bemühungen des Gesetzgebers, mithilfe der nationalen Pharmastrategie die richtigen Rahmenbedingungen für einen auch in Zukunft international wettbewerbsfähigen Pharmastandort zu setzen, können dazu beitragen, die Translationsschwäche entlang der gesamten Innovationspipeline zu überwinden. Die Beschleunigung klinischer Studien am Standort, der Abbau bürokratischer Hürden ebenso wie der geplante Zugang zu Gesundheitsdaten des Forschungsdatenzentraums auch für private Akteure sind Beispiele für gute Ansätze zur Stärkung der pharmazeutischen Forschungslandschaft. Um im internationalen Innovationswettlauf zukünftig wettbewerbsfähig zu bleiben, bedarf es jetzt einer schnellen Umsetzung und konsequenten Weiterverfolgung des von der Politik eingeschlagenen Weges.

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