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Paula Risius / Philip Herzer / Franziska Arndt IW-Kurzbericht Nr. 58 16. August 2024 Unternehmen gehen Kompromisse bei der Azubi-Rekrutierung ein

Der Ausbildungsmarkt ist angespannt: Es gibt zunehmend Passungsprobleme zwischen Angebot und Nachfrage und demografiebedingt weniger Bewerber. Unternehmen zeigen sich angesichts dieser Herausforderung flexibel: Sieben von zehn Unternehmen mit Bewerbermangel gehen Kompromisse bei der Vorbildung ein.

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Unternehmen gehen Kompromisse bei der Azubi-Rekrutierung ein
Paula Risius / Philip Herzer / Franziska Arndt IW-Kurzbericht Nr. 58 16. August 2024

Unternehmen gehen Kompromisse bei der Azubi-Rekrutierung ein

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Der Ausbildungsmarkt ist angespannt: Es gibt zunehmend Passungsprobleme zwischen Angebot und Nachfrage und demografiebedingt weniger Bewerber. Unternehmen zeigen sich angesichts dieser Herausforderung flexibel: Sieben von zehn Unternehmen mit Bewerbermangel gehen Kompromisse bei der Vorbildung ein.

Die Fachkräftesituation in Deutschland ist für Unternehmen herausfordernd: 2023 fehlten rein rechnerisch etwa 573.000 qualifizierte Arbeitskräfte. Die volkswirtschaftlichen Kosten des Fachkräftemangels werden auf 49 Milliarden Euro geschätzt (Burstedde / Kolev, 2024). Der demografische Wandel verschärft das Problem, da viele erfahrene Beschäftigte in Rente gehen und zugleich weniger Jugendliche für eine Ausbildung zur Verfügung stehen. Viele Unternehmen bemühen sich um Fachkräfte, indem sie an ihrer Arbeitgeberattraktivität arbeiten, neue Zielgruppen in den Blick nehmen oder den Suchradius erweitern.

Die Qualifizierung im eigenen Betrieb ist eine der wichtigsten Säulen der Fachkräftesicherung: 93 Prozent der Unternehmen beteiligen sich an Weiterbildung (Seyda et al., 2024). Von den ausbildungsberechtigten Betrieben bildeten 2022 58 Prozent selbst aus (Leber et al., 2023). Dass dieser Weg der Mitarbeitergewinnung erfolgsversprechend ist, zeigt auch die Kostenerhebung des Bundesinstituts für Berufsbildung: Etwa 48 Prozent der im Betrieb ausgebildeten Fachkräfte sind drei, 37 Prozent auch fünf Jahre nach Abschluss noch im Betrieb (Wenzelmann / Schönfeld, 2022). Auch aus gesellschaftlicher Perspektive ist die Ausbildung von hoher Bedeutung, da sie die Arbeitsmarktintegration erleichtert und die Jugendarbeitslosigkeit senkt (z. B. Eichhorst et al., 2013; Eurostat, 2024).

Bewerbermangel und Passungsprobleme sind am Ausbildungsmarkt weit verbreitet: Betriebe und Bewerber finden immer seltener zusammen. Viele Unternehmen können nur einen Teil ihrer Ausbildungsplätze besetzen. 17,5 Prozent der Unternehmen mit Ausbildungsangeboten konnten 2023 nur einen Teil und sogar 26,8 Prozent keine der angebotenen Ausbildungsstellen besetzen (IW-Personalpanel, Welle 35, 2024).

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In den letzten Jahren hat sich der Anteil an jungen Menschen im Alter von 20 bis 34 Jahren, die noch keinen formalen Berufsabschluss erworben haben, auf 2,86 Millionen Personen deutlich erhöht (BMBF, 2024). Gleichzeitig ist der Anteil der Unternehmen, die selbst ausbilden, zurückgegangen, vor allem, weil viele kleine Unternehmen keine passenden Bewerbungen erhalten. Ausbildungsplatzangebot und die Anzahl von Jugendlichen, die nicht in Ausbildung oder Beschäftigung sind (NEETs), hängen zusammen: Je weniger Ausbildungsplätze in einer Region pro Ausbildungsbewerber bereitstehen, umso größer ist die Zahl der NEETs (Schnelle / Wieland, 2024). Allerdings blieben 2023 nicht nur 13,4 Prozent der Ausbildungsstellen unbesetzt, sondern auch 11,5 Prozent der Ausbildungsbewerber unversorgt (BIBB, 2024), auch wenn viele von ihnen in eine Alternative wie einen weiteren Schulbesuch, eine Berufsvorbereitung oder ein Studium einmünden. Die Passungsprobleme nehmen seit Jahren zu (Fitzenberger et al., 2022). Die Ursachen für dieses Mismatch lassen sich in mehrere Bereiche unterteilen:

  • Regionaler Mismatch: Ausbildungsbewerber suchen nicht in der Region, in der die Stellen ausgeschrieben sind.
  • Beruflicher Mismatch: Die beruflichen Interessen der Bewerber weisen eine nicht hinreichende Passung zu den angebotenen Ausbildungsstellen auf.
  • Qualifikatorischer Mismatch: Die Ausbildungsbewerber verfügen nicht über die von Unternehmen gewünschte Vorbildung oder andere individuelle Faktoren stehen einem Vertragsschluss entgegen.

Die Mismatches müssen nicht als gegeben hingenommen werden, sondern es lässt sich ihnen etwas entgegensetzen. Um beispielsweise qualifikatorische Mismatches zu reduzieren, liegt eine der Stellschrauben auf Seiten der Unternehmen: Sie können Kompromisse bei der Suche nach Auszubildenden hinsichtlich deren Vorbildung machen. Die IW-Befragung zeigt, dass dies bereits in großem Umfang geschieht: Viele Unternehmen sind für Bewerber offen, die nicht über alle geforderten Kompetenzen verfügen. Trotz einer ausreichenden Bewerberlage stellt jedes zweite Unternehmen auch Jugendliche ein, deren Kompetenzen nicht auf dem geforderten Niveau sind. Bei Unternehmen mit einer schlechten Bewerberlage ist dieser Anteil mit 69,2 Prozent sogar noch signifikant höher. 51,2 Prozent aller Unternehmen, die deutliche Kompromisse bei der Bewerbersuche eingehen, konnten 2023 alle Ausbildungsplätze besetzen; weitere 17,3 Prozent zumindest einen Teil. Auch für Jugendliche mit erheblichem Unterstützungs- oder Förderbedarf ist immerhin ein gutes Viertel bis knappes Drittel der Unternehmen offen.

Eine multivariate Betrachtung zeigt jedoch, dass Unternehmen mit schwieriger Bewerberlage ihre Ausbildungsstellen trotz Zugeständnissen an die geforderten Kompetenzen nicht signifikant häufiger besetzen können als andere Unternehmen. Obwohl sich also viele Unternehmen bereits intensiv auf die Bewerber zubewegen, sind sie weiterhin mit Besetzungsschwierigkeiten konfrontiert. Dies dürfte auch mit den vielfach belegten Defiziten in Basiskompetenzen zusammenhängen (Lewalter et al., 2023).

Auch an den anderen Ursachen für Mismatch muss gearbeitet werden: Zur Verbesserung regionaler Mismatches kann die Mobilität erhöht werden. Hier bestehen bereits einige Förderangebote wie das Jugendwohnen, dessen Verbreitung und Bedarfsorientierung jedoch noch deutlich zu gering ist. Mit Azubi-Tickets können zumindest kleinere Distanzen gut überbrückt und so der Suchradius erweitert werden. Dies setzt jedoch einen gut ausgebauten öffentlichen Personennahverkehr voraus. Beruflichen Mismatches kann durch Berufsorientierung und gutes Ausbildungsmarketing von Unternehmen entgegengewirkt werden. Schulformübergreifend sind insbesondere praxisnahe Angebote notwendig, die gleichberechtigt über Ausbildung und Studium informieren und Jugendlichen nicht nur einen breiten Überblick über Berufe geben, sondern auch ermöglichen, ihre Begabungen und Interessen zu erkennen und zu entfalten. Mit Blick auf NEETs sollte sichergestellt werden, dass die Arbeitsagenturen Jugendliche ohne berufliche Anschlussperspektive noch gezielter ansprechen können (Effenberger, 2023). Hierzu ist es wichtig, dass der auf der Schülerdatennorm basierende Datenaustausch zwischen Bundesländern und der Bundesagentur für Arbeit im vollen Umfang stattfindet.

Die Auswertungen basieren auf dem IW-Personalpanel, einer repräsentativen Unternehmensbefragung, die mehrmals jährlich vom Institut der deutschen Wirtschaft durchgeführt wird. Es wurden Personalverantwortliche aus 895 Unternehmen zu Ausbildung und Berufsorientierung befragt. Die Daten wurden vom 07.03.2024 bis 03.05.2024 erhoben.

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