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Alexander Burstedde / Jurek Tiedemann IW-Report Nr. 33 9. August 2024 IW-Arbeitsmarktfortschreibung 2027: Zuwanderung kann Alterung ausgleichen

Gegenstand der vorliegenden Studie ist die Aktualisierung der IW-Arbeitsmarktfortschreibung mit den neuesten verfügbaren Daten bis zum Jahr 2022 auf Basis der Methodik von Burstedde (2023).

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Zuwanderung kann Alterung ausgleichen
Alexander Burstedde / Jurek Tiedemann IW-Report Nr. 33 9. August 2024

IW-Arbeitsmarktfortschreibung 2027: Zuwanderung kann Alterung ausgleichen

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Gegenstand der vorliegenden Studie ist die Aktualisierung der IW-Arbeitsmarktfortschreibung mit den neuesten verfügbaren Daten bis zum Jahr 2022 auf Basis der Methodik von Burstedde (2023).

Die Fortschreibung zeigt auf, wie sich Beschäftigung und Fachkräftelücke in den fünf Jahren bis 2027 entwickeln würden, wenn sich die empirischen Trends der letzten sieben Jahre weiter fortsetzen würden. Damit handelt es sich nicht um eine Prognose.

Die Fortschreibung ergibt für die Jahre von 2022 bis 2027 ein durchschnittliches jährliches Beschäftigtenwachstum von 537.000 Personen oder 1,6 Prozent jährlich. Ob es tatsächlich zu diesem Beschäftigtenwachstum kommt, hängt im Wesentlichen davon ab, ob sich die zuletzt sehr positive Entwicklung der Erwerbsbeteiligung weiter fortsetzt, insbesondere bei Menschen im Alter ab 60 Jahren. Daher sind politische Weichenstellungen wichtig, um die Anreize für eine längere Erwerbstätigkeit weiter zu erhöhen und jene für eine frühere Verrentung zu verringern.

Die Fortschreibung geht davon aus, dass ein steigender Anteil der Bevölkerung eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen will und kann (Partizipationseffekt 626.000 Beschäftigte jährlich). Zum Teil geht dies zulasten anderer Erwerbsformen (Selbstständige, Beamte, Minijob und andere). Im Hinblick auf anstehende Unternehmensübergaben und die schwache Gründungskultur in Deutschland sollten daher Anreize für eine Selbstständigkeit gestärkt werden, die wiederum positive Beschäftigungseffekte nach sich ziehen.

Der demografische Wandel könnte durch Nettozuwanderung ausgeglichen werden (Kohorteneffekt -283.000 versus Zuwanderungseffekt +285.000), wenn diese auf dem bisherigen Niveau bleibt. In der letztjährigen Fortschreibung war lediglich ein Ausgleich von 70 Prozent absehbar. Der Zuwanderungstrend ist aufgrund der Rekordzuwanderung aus der Ukraine in 2022 deutlich gestiegen. Die Partizipationsquote ausländischer Personen ist jedoch in 2022 gesunken, da viele Geflüchtete erst mit Verzögerung in den Arbeitsmarkt einmünden. Nach der hohen Fluchtzuwanderung im Jahr 2015 gab es in den Folgejahren nennenswerte Integrationserfolge, die es zu wiederholen gilt – wovon die Fortschreibung aufgrund ihrer Modellierung ausgeht.

Für mehr qualifizierte Zuwanderung sollten die Möglichkeiten des novellierten Fachkräfteeinwanderungsgesetz genutzt werden. Die meisten Unternehmen bräuchten dafür jedoch mehr Unterstützung (vgl. Burstedde et al., 2023). Auch im Ausland müssen die neuen Möglichkeiten kommuniziert werden. In der Praxis müssen Visavergabe und berufliche Anerkennung schneller werden. All dies erfordert zusätzliche Ressourcen.
 Für eine bessere Integration und den dauerhaften Verbleib der in Deutschland lebenden Zuwanderer ist eine von der Breite der Gesellschaft gelebte Willkommenskultur notwendig. Denn bisher ziehen noch zu viele der hier arbeitenden ausländischen Fachkräfte in andere Länder weiter oder in ihr Herkunftsland zurück.

Von der nach wie vor vorhandenen Arbeitslosigkeit ist kein nennenswerter Beitrag zum Beschäftigtenwachstum im betrachteten Zeitraum zu erwarten (Arbeitsloseneffekt 1.300). Das war in der letztjährigen Fortschreibung noch anders. In Westdeutschland ist neuerdings mit einer leicht steigenden Arbeitslosigkeit zu rechnen, während sie in Ostdeutschland weiter sinken sollte. Daher gilt es, Arbeitslose noch intensiver zu qualifizieren und zu fördern, zugleich aber auch stärker für eine Arbeitsaufnahme im Sinne des Forderns zu motivieren.

Ostdeutschland könnte Westdeutschland bei Beschäftigungsaufbau und Fachkräftemangel überholen. Der demografische Wandel wirkt sich in Westdeutschland seit 2016 mit wachsendem Tempo auf den Arbeitsmarkt aus, während er in Ostdeutschland schon 2019 ein Plateau erreicht hat.

Der Anteil von Fachkräften mit Berufsausbildung an allen Beschäftigten wird weiter sinken. Dies ist jedoch nicht mit einem sinkenden Bedarf zu verwechseln, denn der Mangel an Arbeitskräften mit Ausbildung wird weiter steigen. Insbesondere in Ostdeutschland wird sich dieses Problem deutlich verschärfen. Für eine Ausbildung und ihre Chancen sollten mehr Menschen begeistert werden. Dazu sind insbesondere die Berufsorientierung an Schulen sowie die Berufslaufbahnberatung von jungen Menschen zu intensivieren und die Berufsvorbereitung möglichst eng mit der Praxis in Unternehmen zu verzahnen.

Geringqualifizierte sind grundsätzlich in ausreichender Zahl vorhanden, um die Arbeitsnachfrage in diesem Segment des Arbeitsmarktes zu decken. Besetzungsprobleme hier sind vorwiegend auf Passungsprobleme bei Regionen und Tätigkeiten zurückzuführen.

Von den größeren Berufshauptgruppen ist der relative Anstieg der Beschäftigung am stärksten in IT-Berufen ausgeprägt (+27,1 Prozent von 2022 bis 2027). Den stärksten Rückgang könnten Metallberufe verzeichnen (-12,8 Prozent). Ein Viertel davon geht auf Metallbau-Fachkräfte zurück, die gleichzeitig zu den Berufen mit dem größten Fachkräftemangel gehören. Sie sind ein Beispiel für die Auswirkungen des demografischen Wandels. In Industrieberufen insgesamt (Berufsbereich 2) stagniert die Beschäftigung annähernd (0,5 Prozent).

Auf Ebene einzelner Berufe dürfte es den größten Beschäftigungsaufbau (weiterhin) bei Erziehern geben (etwa 167.000). Dies ist eine gute Nachricht, da dies zusätzliche Beschäftigungsaufnahmen von Eltern begünstigt. Der größte Beschäftigungsabbau wird nun bei Helfern in der Metallbearbeitung erwartet (-62.779 beziehungsweise -25,9 Prozent), die damit ausgebildete Bankkaufleute überholt haben (-59.940 beziehungsweise -15,9 Prozent).

Die vorliegende Aktualisierung der IW-Arbeitsmarktfortschreibung erscheint etwa ein halbes Jahr verspätet. Folgende Entwicklungen, die in den für die Fortschreibung verwendeten Daten noch nicht enthalten sind, sollten bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden:

  • Die Konjunktur ist aktuell schwach. Die ifo Konjunkturuhr steht seit September 2022 auf Krise (ifo, 2024). Die Fortschreibung enthält keine Konjunkturprognose und geht von einer durchschnittlichen Konjunktur im fünfjährigen Fortschreibungszeitraum aus. Somit sind die Ergebnisse zwangsläufig optimistischer als die aktuelle Entwicklung tatsächlich ist. Das Beschäftigtenwachstum betrug zuletzt nur 183.000 (von April 2023 bis April 2024; BA, 2024). Eine konjunkturelle Gegenbewegung könnte dies ausgleichen. Bleibt diese aus, werden künftige Fortschreibungen von einem strukturell schwächeren Wachstumspfad ausgehen.
  • Die Fachkräftelücke ging 2023 auf 573.000 im Jahresdurchschnitt leicht zurück (Kunath et al., 2024), etwas stärker als in den Fortschreibungsergebnissen. Dies ist im Lichte der schwachen Konjunktur plausibel. Der Fachkräftemangel bleibt jedoch trotz aller Krisen auf einem sehr hohen Niveau. Eine deutliche Entspannung am Arbeitsmarkt ist derzeit nicht in Sicht.
  • Der Zensus 2022 (Destatis, 2024) ergab, dass in Deutschland 1,4 Millionen beziehungsweise 1,6 Prozent weniger Menschen leben als bisher angenommen. Dies geht zu etwa zwei Dritteln auf die ausländische Bevölkerung zurück. Bei einer Rückkehr ins Ausland erfolgt häufig keine Abmeldung und damit keine Erfassung in der Bevölkerungsstatistik. Das bedeutet, dass die Partizipationsquoten der Ausländer tatsächlich höher liegen, als im Rahmen der Fortschreibung berechnet werden konnte.
  • Die Energiepreiskrise im Jahr 2022 und ihre Auswirkungen sind in den diesjährigen Fortschreibungsergebnissen bislang kaum enthalten, weil die Beschäftigtenstruktur erst mit Verzögerung auf veränderte Investitions- und Standortentscheidungen reagiert. Es wird spannend werden zu sehen, welche Trendänderungen im Berufe-Mix sich in der nächsten Fortschreibung zeigen.
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