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Jochen Pimpertz / Oliver Stettes IW-Kurzbericht Nr. 77 10. Oktober 2024 Arbeits- und sozialrechtliche Vorschriften stehen Arbeiten im Ruhestand vielerorts im Weg

Gut die Hälfte der Unternehmen beschäftigt aktuell Ruheständler. Nach Ansicht vieler Unternehmen könnte die Verbreitung von Erwerbsarbeit nach Renteneintritt ebenso wie die Anzahl der sogenannten Silver Worker höher sein, wenn arbeits- und sozialrechtliche Vorschriften weniger Hürden aufbauen würden.

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Arbeits- und sozialrechtliche Vorschriften stehen Arbeiten im Ruhestand vielerorts im Weg
Jochen Pimpertz / Oliver Stettes IW-Kurzbericht Nr. 77 10. Oktober 2024

Arbeits- und sozialrechtliche Vorschriften stehen Arbeiten im Ruhestand vielerorts im Weg

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Gut die Hälfte der Unternehmen beschäftigt aktuell Ruheständler. Nach Ansicht vieler Unternehmen könnte die Verbreitung von Erwerbsarbeit nach Renteneintritt ebenso wie die Anzahl der sogenannten Silver Worker höher sein, wenn arbeits- und sozialrechtliche Vorschriften weniger Hürden aufbauen würden.

Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit ist ein Baustein, um die Folgen des demografischen Wandels auf den Arbeitsmarkt abzumildern. Das gilt auch für den Fall, wenn der Renteneintritt bereits erfolgt ist. Das Interesse der Arbeitgeber an der Weiterbeschäftigung von Mitarbeitern, die sich ihrem gesetzlichen Renteneintrittsalter nähern, steigt bereits seit geraumer Zeit (z. B. Westermeier/Wolf, 2020, 3; Brandl et al., 2024, 30).

Ein wesentlicher Grund: mittlere bis große Rekrutierungsprobleme. Wo diese existieren, steigt die Wahrscheinlichkeit um 12,6 Prozentpunkte, dass ein Unternehmen Ruheständler beschäftigt, wie Auswertungen der Sommerwelle des IW-Personalpanels 2024 zeigen.

Mittlerweile setzt gut die Hälfte der Unternehmen in Deutschland (Stand Sommer 2024) zumindest einen Mitarbeiter ein, der das gesetzliche Renteneintrittsalter erreicht hat oder bereits eine Rente bezieht. Die Verbreitung der Beschäftigung von Ruheständlern in den hiesigen Betrieben hat in den letzten fünf Jahren zugenommen. Im Jahr 2019 waren es noch knapp vier von zehn Unternehmen (Pimpertz/Stettes, 2020, 51). Weitere 6 Prozent beschäftigen zwar aktuell keine sogenannten Silver Worker, hatten aber zumindest in den letzten fünf Jahren zu einem Zeitpunkt auf deren Expertise zurückgegriffen.

Hindernisse für die Beschäftigung von Ruheständlern

Trotz der höheren Verbreitung bleibt die Beschäftigung im Ruhestandsalter noch ein Randphänomen, wenn man die Erwerbstätigkeit von Ruheständlern beziehungsweise von 65-jährigen und älteren Menschen in den Blick nimmt. Die Angaben der Unternehmen im IW-Personalpanel 2024 geben auch Aufschluss darüber, warum dies vielerorts der Fall ist.

  • Sechs von zehn Unternehmen erhalten bislang keine externen Bewerbungen von Personen, die sich bereits im Rentenalter befinden.
  • Insgesamt knapp 42 Prozent der Unternehmen berichten, dass auf Seiten der ausgeschiedenen Beschäftigten kein Interesse an einer Beschäftigung nach dem Renteneintritt besteht. Berücksichtigt man mit Blick auf ein potenziell fehlendes Interesse lediglich die Unternehmen, die Erfahrungen mit Silver Worker aufweisen, ähneln die Werte für 2024 denen einer Auswertung aus dem Jahr 2019 (Pimpertz/Stettes, 2020, 58).

Von einem mangelnden Interesse berichten vor allem solche Betriebe, die keine Silver Worker beschäftigt haben und in den vergangenen fünf Jahren Beschäftigte in den Ruhestand verabschiedet hatten, diese aber nicht für eine Weiterbeschäftigung gewinnen konnten (65 Prozent).

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Geschäftsführungen und Personalverantwortliche können mit unterschiedlichen personalpolitischen Maßnahmen zwar ein Arbeitsumfeld schaffen, das Beschäftigte motiviert, auch nach dem Renteneintritt (weiter-) zu arbeiten (z. B. Pimpertz/Stettes, 2020, 56 ff.; Westermeier/Wolf, 2020, 8). Allerdings können die Bemühungen von Personalverantwortlichen vergeblich sein, wenn bei den Beschäftigten beziehungsweise Ruheständlern das Narrativ vorherrscht, im Leben genug gearbeitet zu haben, und womöglich auch deshalb das Interesse an einer Erwerbsarbeit verlorengeht (vgl. hierzu Hammermann et al., 2024; Romeu Gordo, 2022, 8).

  • Insgesamt drei von zehn Unternehmen scheitern an arbeits- und sozialrechtlichen Fragen. Unter den Betrieben, die bereits Erfahrungen mit der Beschäftigung von Silver Worker haben oder diese aktuell einsetzen, sind es sogar knapp vier von zehn (38 Prozent).

Dies sind zwar weniger als fünf Jahre zuvor (46 bis 47 Prozent, vgl. Pimpertz/Stettes, 2020, 58). Die immer noch häufige Nennung signalisiert aber, dass der rechtliche Rahmen komplex ist. Daraus können für die Unternehmen erhebliche Risiken entstehen, die im Einzelfall einer Fortsetzung oder Wiederaufnahme des Beschäftigungsverhältnisses unmittelbar im Wege stehen.

Fokus: Arbeitsrechtliche Vorschriften

Wenn im Arbeits- und Sozialrecht Stolperfallen gesehen werden, liegt dies aus Sicht der betroffenen Unternehmen häufig am Kündigungsschutz (57 Prozent) und dem Vorbeschäftigungsverbot bei sachgrundlos befristeten Arbeitsverträgen (32 Prozent). Besonders Letzteres erweist sich in diesem Kontext als tückisch.

Bislang kann zwar das Ende eines auslaufenden Arbeitsvertrags, das aufgrund der üblichen vertraglichen Beendigungsklausel bei Erreichen des Renteneintrittsalters erfolgt, sachgrundlos hinausgeschoben werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Einigung noch vor dem Renteneintritt erfolgt und nicht danach. Mancherorts mag der Bedarf an Unterstützung durch den Silver Worker aus unterschiedlichen Gründen aber erst im Nachhinein sichtbar werden. Eine befristete Anschlussbeschäftigung ist dann jedoch nicht mehr möglich, wenn ein Mitarbeiter „zurückgeholt“ wird, der bereits in die Rente verabschiedet wurde. Bei einer dann unbefristeten Weiterbeschäftigung würde der reguläre Kündigungsschutz greifen und eine spätere Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen betrieblichen Grund erfordern, sofern sich beide Partner nicht gemeinsam auf einen finalen Ruhestand einigen. Der Umstand, dass das Unternehmen in der Zwischenzeit einen Nachfolger gefunden hat, würde allein zu Recht nicht als zulässiger Grund für eine arbeitgeberseitige Kündigung gelten.

Selbst bei einer rechtzeitigen Einigung vor Erreichen der Regelaltersgrenze bewegt man sich vielerorts auf einem wackligen Fundament. Der Grund: Die betroffenen Beschäftigten wünschen sich häufig bei einer Weiterbeschäftigung die Reduzierung der Arbeitszeit. Bei Änderungen der Vertragsbedingungen besteht derzeit aber eine rechtliche Unsicherheit, ob dies noch im Rahmen des befristeten Hinausschiebens des automatischen Vertragsendes zulässig ist. Auch hier könnte in späteren Streitfällen die Transformation in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis drohen.

Im Rahmen ihrer Wachstumsinitiative geht die Bundesregierung einen wichtigen Schritt, derartige arbeitsrechtliche Hürden abzuschaffen. Wesentlich ist dabei aber erstens, dass die Abschaffung des Vorbeschäftigungsverbots auch Beschäftigungsverhältnisse erfasst, die mit ehemaligen Beschäftigten geschlossen werden, selbst wenn die ihre Rente vorzeitig beziehen. Zweitens sollte im gleichen Atemzug rechtlich klargestellt werden, dass einvernehmliche Abänderungen der Arbeitsbedingungen auch dann möglich sind, wenn bei einem beschäftigten Arbeitnehmer das vertraglich definierte Ende hinausgeschoben wird.

Fokus: Sozialrechtliche Vorschriften

Als besondere Herausforderung empfinden die Unternehmen, die arbeits- und sozialrechtliche Vorschriften als Hemmnis benennen, den bürokratischen Aufwand bei der Feststellung der Sozialversicherungsbeiträge. Dies trifft auf immerhin acht von zehn dieser Unternehmen zu.

Konkrete Beispiele wurden zwar nicht erfragt. Aber was auf den ersten Blick als Routine für die Personal-abteilungen erscheinen mag, kann im Einzelfall aufwendig werden. Dazu zwei Beispiele:

  • Nach Erreichen der Regelaltersgrenze kann ein Silver Worker freiwillig auf die Zahlung seines Arbeitnehmerbeitrags zur Rentenversicherung verzichten. Um den Sozialversicherungsbeitrag korrekt berechnen und abführen zu können, müssen Arbeitgeber deshalb die erforderlichen Meldungen des betreffenden Arbeitnehmers kontrollieren.
  • Kommen Renten- und Arbeitseinkommen zusammen, übertrifft die Summe möglicherweise die Beitragsbemessungsgrenze zur Kranken- und Pflegeversicherung. Eine Rückerstattung erfordert dann am Jahresende einen Antrag bei der Krankenkasse – das ist schon für den Versicherten aufwendig. In nicht wenigen Fällen dürften die betreffenden Silver Worker aber in der Personalabteilung anfragen.

Wenn die Ampelkoalition im Zuge ihrer Wachstumsinitiative nun plant, dass der Arbeitgeberbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung mit dem Bruttolohn ausgeschüttet wird, sobald ein Silver Worker jenseits der Altersgrenze freiwillig auf Beiträge zur Rentenversicherung verzichtet, wird die Klärung des letztlich erzielbaren Nettoeinkommens kaum erleichtert.

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