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Philipp Deschermeier / Holger Schäfer IW-Kurzbericht Nr. 78 14. Oktober 2024 Die Babyboomer gehen in Rente

Die ersten Babyboomer haben bereits das gesetzliche Renteneintrittsalter erreicht. Im Jahr 2036 werden sie vollständig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sein. Der demographische Druck auf den Arbeitsmarkt wächst, gleichzeitig schließt sich das Zeitfenster, in dem geeignete Gegenmaßnahmen Wirkung entfalten können.

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Die Babyboomer gehen in Rente
Philipp Deschermeier / Holger Schäfer IW-Kurzbericht Nr. 78 14. Oktober 2024

Die Babyboomer gehen in Rente

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die ersten Babyboomer haben bereits das gesetzliche Renteneintrittsalter erreicht. Im Jahr 2036 werden sie vollständig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sein. Der demographische Druck auf den Arbeitsmarkt wächst, gleichzeitig schließt sich das Zeitfenster, in dem geeignete Gegenmaßnahmen Wirkung entfalten können.

Die deutsche Gesellschaft altert

Die deutsche Gesellschaft schrumpft und altert. Dieses Paradigma galt unter Experten seit den 1970er bis in die 2010er Jahre als unstrittig. Doch in den 2010er Jahren führte die Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU, das stabile Wirtschaftswachstum sowie die Flüchtlingsbewegung von 2015 und 2016 durch die Kriege in Syrien und dem Irak zu einem veränderten demografischen Ausblick. Die anhaltenden Wanderungsgewinne in Kombination mit der Erwartung über zukünftige Wanderungsgewinne veränderten die demografische Perspektive: Statt Schrumpfung erscheint nun ein weiterer Anstieg des Bevölkerungsstands in Deutschland als wahrscheinlich (Deschermeier, 2016). Auch die Bundesregierung teilt diese Einschätzung (BMI, 2017), die zentrale demografische Herausforderung bleibt jedoch von der Zuwanderung unberührt: die Alterung der Gesellschaft.

Denn die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge erreichen aktuell das gesetzliche Renteneintrittsalter. So setzte der Babyboom in Deutschland durch die Folgen des Zweiten Weltkriegs später ein als beispielsweise in den USA. Zwischen 1954 und 1969 lag die Zahl der Neugeborenen in Westdeutschland stets über 1,1 Millionen. Dabei war der Geburtenjahrgang 1964 mit 1,4 Millionen Lebendgeborenen der geburtenstärkste Jahrgang der Bundesgeschichte. Ende der 1960er Jahre folgte ein starker Rückgang der Geburtenzahlen (umgangssprachlich auch als „Pillenknick“ bekannt). Anhaltend niedrige Geburtenraten und die steigende Lebenserwartung von Männern und Frauen haben die Altersstruktur in der Folge nachhaltig verändert. Denn die Größe der Alterskohorten der geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre wurde seitdem in Deutschland nie wieder erreicht. Somit bilden die Babyboomer-Jahrgänge den Schwerpunkt der Altersverteilung.

Das Arbeitskräftepotenzial sinkt

Die Babyboomer-Generation umfasste im Jahr 2022 auf Basis einer eigenen Fortschreibung des Zensus 2022 etwa 19,5 Millionen Personen. Auf Grundlage dieser Fortschreibung hat das Institut der deutschen Wirtschaft eine Bevölkerungsprognose bis zum Jahr 2040 erstellt (Deschermeier, 2024). Demnach wird sich der Bevölkerungsstand Deutschlands bis 2040 um 2,3 Prozent auf etwa 85 Millionen Einwohner erhöhen. Das Arbeitskräftepotenzial nimmt im selben Zeitraum allerdings um fast 3 Millionen Personen ab.

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Die Alterung der Gesellschaft bleibt die zentrale Herausforderung. So verdeutlicht die Abbildung, dass Deutschland nicht vor dem demografischen Wandel steht, sondern sich bereits mittendrin befindet. Denn 2022 hatten die Geburtenjahrgänge der Jahre 1954 bis 1956 bereits das gesetzliche Renteneintrittsalter erreicht. Für den Jahrgang 1957, dessen gesetzliches Renteneintrittsalter bei 65 Jahren und 11 Monaten lag, trifft dies 2022 mehrheitlich ebenfalls zu. In Summe haben Ende 2022 also bereits etwa 3,1 Millionen Babyboomer das Renteneintrittsalter erreicht. Über den Prognosehorizont bis 2040 beschleunigt sich die Entwicklung insbesondere in der zweiten Hälfte der 2020er Jahre. 2036 werden dann alle verbliebenen etwa 16,5 Millionen Babyboomer das gesetzliche Renteneintrittsalter erreicht haben. Im Jahr 2040 wird die Babyboomer-Generation auf Basis der IW-Prognose auf etwa 15 Millionen Personen geschrumpft sein. Die ersten Jahrgänge der Babyboomer werden dann bereits über 85 Jahre alt sein. Den 19,5 Millionen Babyboomern aus dem Jahr 2022, die bis 2036 vollständig das Renteneintrittsalter erreicht haben oder verstorben sein werden, steht ein Zugang junger Personen zum Arbeitskräftepotenzial im gleichen Zeitraum in Höhe von etwa 12,5 Millionen gegenüber.

Aus dem Übertritt der Babyboomer vom Erwerbs- ins Rentenalter resultiert deshalb ein über die Zeit zunehmender demografischer Druck auf den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme. Dies verdeutlichen die Jugend- und Altenquotienten. Diese veranschaulichen wie viele junge (unter 15 Jahre) und ältere (mindestens 67 Jahre) Personen auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter entfallen. Zwar bleibt der Jugendquotient zwischen 2022 (21,3) und 2040 (21,8) nahezu konstant, der Altenquotient erhöht sich jedoch von 29,5 auf 41,1. Der Gesamtquotient, als Summe über beide Quotienten erhöht sich von 50,9 (2022) auf 62,9 (2040). Somit kamen auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter im Jahr 2022 etwa 51 junge und ältere Personen. Im Jahr 2040 werden es etwa 63 Personen sein.

Handlungsbedarfe

Da das Arbeitskräftepotenzial im Zuge der Verrentung der Babyboomer stark sinkt, muss es entweder durch Zuwanderung vergrößert werden, oder das bestehende Potenzial muss besser ausgeschöpft werden. Gelingt das nicht, drohen eine Abnahme des Potenzialwachstums und damit einhergehende Wohlstandsverluste (Geis-Thöne et al., 2021). Diese Wohlstandsverluste begrenzen nicht nur die Konsummöglichkeiten der Erwerbstätigen. Sie begrenzen auch den Umfang der Leistungen, der für Umverteilung zum Beispiel für soziale Zwecke zur Verfügung steht. Somit drohen verschärfte Verteilungskonflikte – nicht zuletzt, weil der Anteil der nicht arbeitenden Bevölkerung deutlich zunimmt.

Eine Intensivierung der arbeitsmarktgesteuerten Zuwanderung von Fachkräften wurde vom Gesetzgeber durch Erleichterungen im Aufenthaltsrecht auf den Weg gebracht. Zurzeit gelingt es aber noch nicht, dies in verstärkte Fachkräftezuwanderung umzusetzen. Probleme bestehen etwa bei überlangen Wartezeiten für die Vergabe von Visa, bei der zügigen Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse oder der Überlastung von Ausländerbehörden. Weitgehend ungeklärt ist die Frage, wer für die Rekrutierung von Fachkräften im Ausland verantwortlich zeichnet. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen sind damit überfordert. Dass vor diesem Hintergrund die Arbeitnehmerüberlassung effektiv von der Rekrutierung in Drittstaaten gesetzlich ausgeschlossen bleibt, ist nicht nachvollziehbar.

Hinzu kommt, dass traditionelle osteuropäische Herkunftsländer der Zuwanderung nach Deutschland erstens selbst niedrige Geburtenraten aufweisen und zweitens der Wohlstandsunterschied und damit der Migrationsanreiz mit zunehmender Konvergenz abnimmt. Fluchtmigration im Kontext von Krisen und Kriegen kann keine tragende Säule einer Zuwanderungsstrategie sein, zumal die Integration in den Arbeitsmarkt hierbei eine erheblich größere Herausforderung darstellt als bei der Fachkräftezuwanderung.

Maßnahmen, die auf eine bessere Ausschöpfung des vorhandenen Arbeitskräftepotenzials abzielen, können über eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung oder eine Ausweitung der individuellen Arbeitszeit wirken. Ein internationaler Vergleich zeigt, dass in Deutschland vor allem Potenzial bei der Verlängerung der Arbeitszeit besteht. Die Erwerbsbeteiligung ist dagegen bereits überdurchschnittlich hoch (Schäfer, 2024). Es erscheint indes fraglich, ob es gelingen wird, das Potenzial bei der Verlängerung der Arbeitszeit auszuschöpfen. Erstens haben Arbeitnehmer überwiegend einen Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten (Hammermann/Schäfer, 2024) und im Lichte zunehmender Arbeitskräfteknappheiten auch die Verhandlungsmacht, um dieses Interesse durchzusetzen. Zweitens müssten geeignete Maßnahmen die Veränderung langfristig eingeübter Verhaltensmuster erreichen. Das braucht in der Regel Zeit, die aber nicht mehr zur Verfügung steht. So wird die Verlängerung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre vom Parlamentsbeschluss bis zur vollständigen Umsetzung über 20 Jahre gedauert haben. Der Höhepunkt der Babyboomer-Verrentung droht aber schon in sieben Jahren.

Die anstehende Welle der Verrentung geburtenstarker Jahrgänge wird zu Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt führen, deren Folgen möglicherweise nur schwer beherrschbar sein werden. Umso wichtiger ist, dass die Politik klare Prioritäten setzt. Jedes geltende und jedes neue Gesetz müssen hinsichtlich möglicher adverser Auswirkungen auf das Arbeitskräfteangebot auf den Prüfstand gestellt werden.

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