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Michael Grömling IW-Kurzbericht Nr. 63 29. August 2024 Industrieschwäche auf breiter Front – Hintergründe und Perspektiven

Die deutsche Industrie setzt im Jahr 2024 ihre Rezession fort. Eine nennenswerte Erholung ist im weiteren Jahresverlauf nicht zu erwarten.

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Industrieschwäche auf breiter Front – Hintergründe und Perspektiven
Michael Grömling IW-Kurzbericht Nr. 63 29. August 2024

Industrieschwäche auf breiter Front – Hintergründe und Perspektiven

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die deutsche Industrie setzt im Jahr 2024 ihre Rezession fort. Eine nennenswerte Erholung ist im weiteren Jahresverlauf nicht zu erwarten.

Dafür gibt es mehrere Erklärungen: Die globale Nachfrage nach Industriewaren leidet direkt unter den geopolitischen Konflikten und der dadurch gedämpften Weltwirtschaft. Die schwache Inlandsnachfrage reflektiert die Investitionskrise und Konsumschwäche in Deutschland. Dazu kommen die vielfältigen Verunsicherungen durch die Geopolitik und der unklare Kurs der Wirtschaftspolitik. Nicht zuletzt haben die Kostenschocks und die Aufwertung des Euro die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie geschwächt.

Schlechte Lage der deutschen Industrie im Sommer 2024

Die bisherige Entwicklung der deutschen Industrie im Jahr 2024 ist enttäuschend. Während vor einem Jahr noch ein leichter Zuwachs für das Gesamtjahr 2024 erwartet wurde, lag die Industrieproduktion im ersten Halbjahr 2024 um deutlich über 5 Prozent unter ihrem entsprechenden Vorjahreswert. Auch auf Basis der preisbereinigten Bruttowertschöpfung – hier werden etwa die von anderen Unternehmen bezogenen Vorleistungen nicht berücksichtigt – wurde das Vorjahresvolumen in den ersten sechs Monaten um knapp 3 Prozent unterschritten. Die Abbildung zeigt auf Basis der Industrieproduktion, dass sich die erneute industrielle Rezession zum einen bereits durchgehend über sechs Quartale erstreckt. Zum anderen werden alle drei großen Hauptgruppen der Industrie von ihr erfasst: 

Die Hersteller von Vorleistungsgütern befinden sich (mit zwei leichten Unterbrechungen im jeweils ersten Quartal 2023 und 2024) im Rückwärtsgang. Durch die einsetzende Erholung in der Chemieindustrie hat sich die Produktion im ersten Halbjahr 2024 zwar stabilisiert, aber auf einem Niveau, das gemäß dem Produktionsindex um gut 5 Prozent unter dem entsprechenden Vorjahr liegt.

Die Produktion von Investitionsgütern ist auf Basis der Quartalswerte seit Anfang 2023 durchgehend rückläufig und sie verfehlte im ersten Halbjahr 2024 das Vorjahresvolumen um 6,5 Prozent. Dies reflektiert die anhaltende Rezession im Maschinenbau, aber auch die Rückgänge in Teilen der Elektro- und Fahrzeugindustrie. 

Die industrielle Produktion von Konsumgütern war mit Ausnahme des ersten Quartals 2024 seit Ende 2022 rückläufig. Hier wird das Produktionsvolumen vom ersten Halbjahr 2023 um gut 2 Prozent unterschritten. Zuletzt haben die Rückgänge in der Elektroindustrie, aber auch die in der Pharmaindustrie dazu beigetragen.

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Erklärungen für die Industrieschwäche

Für die schlechte Produktionsentwicklung in der deutschen Industrie können eine Reihe von Erklärungen angeführt werden, die zum einen aus der gesamtwirtschaftlichen Schwächephase (s. hierzu Bardt et al., 2024) und zum anderen aus industriespezifischen Anpassungslasten (Grömling, 2023) resultieren:

Die schwache Weltwirtschaft im Gefolge der vielfältigen geopolitischen Probleme und Verwerfungen beeinträchtigt seit geraumer Zeit die Auslandsnachfrage nach deutschen Industrieerzeugnissen. Die mit den Handelskonflikten und Kriegen einhergehende geoökonomische Fragmentierung hat die internationale Investitionstätigkeit und damit einen wichtigen Teil des deutschen Industrieportfolios stark belastet. Die infolge der kriegsbedingten Energiepreisschocks hohen Inflationsraten haben den weltweiten Konsum stark gedämpft. Spiegelbild zu der in der Abbildung dargestellten Industrieschwäche ist die schlechte Exportentwicklung der deutschen Wirtschaft, wobei fast vier Fünftel der hiesigen Ausfuhren auf Industriewaren entfallen. Die preisbereinigten Warenexporte lagen im ersten Halbjahr 2024 um 0,7 Prozent unter ihrem entsprechenden Vorjahresniveau.

Zu dieser externen Nachfrageschwäche kommt auch eine schwache Inlandsnachfrage nach Industriewaren hinzu. Diese wiederum resultiert aus der gesamtwirtschaftlichen Investitionsschwäche in Deutschland. Zum einen investiert die Industrie selbst aufgrund der schlechten Geschäftsentwicklung und der schwach ausgelasteten Produktionskapazitäten weniger. Die Kapazitätsauslastung lag zuletzt im Verarbeitenden Gewerbe mit 77,5 Prozent um 6 Prozentpunkte unter dem langfristigen Durchschnitt (ifo, 2024). Zum anderen führt auch die Baukrise zu einer deutlich gesunkenen Nachfrage nach industriellen Vorleistungsgütern und bauspezifischen Investitionsgütern. Nicht zuletzt dämpfen auch die in den letzten Jahren deutlich angestiegenen Finanzierungskosten die Investitionen in Deutschland und damit ebenfalls einen wichtigen Teil des deutschen Industriespektrums.

Die geopolitischen Verwerfungen dämpfen nicht nur direkt die globale Investitionstätigkeit. Vielmehr erzeugen die vielfältigen politischen Unsicherheiten auch ein von ökonomischen Verunsicherungen geprägtes Wirtschaftsleben. Darüber hinaus sorgen Verunsicherungen im Kontext der energiepolitischen Transformation für unternehmerische Unwägbarkeiten. Der unklare wirtschaftspolitische Kurs in Deutschland stellt zudem über alle Branchen hinweg für knapp zwei von drei Unternehmen ein Risiko bei ihren Investitionsentscheidungen in Deutschland dar (Grömling et al., 2024) – mit entsprechend negativen Folgen für die Nachfrage und Produktion von Industriegütern. Nicht nur die Unternehmen werden von den vielfältigen Schocks verunsichert, auch die Konsumenten halten sich in diesen unsicheren Zeiten merklich zurück.

Nicht zuletzt hat sich auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen verschlechtert, was wiederum über den Außenhandelskanal und die Investitionsneigung im Inland die Nachfrage nach Industriegütern Made in Germany bremst. Infolge der multiplen Kostenschocks durch stark angestiegene Energiepreise, höhere Rohstoff- und Materialkosten wegen der globalen Logistikprobleme und höherer Arbeitskosten hat die deutsche Industrie an preislicher Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Wenngleich sich die Energiepreise von den starken kriegsbedingten Anstiegen ein Stück weit erholt haben, verbleiben deutlich höhere Produktionskosten sowie die Verunsicherungen über die weitere Kostenentwicklung im Kontext der geopolitischen Risiken, etwa im Nahen Osten und auf den internationalen Handelswegen. Hinzu kommt eine Aufwertung des effektiven Wechselkurses des Euro gegenüber einer Reihe von internationalen Wettbewerbern.

Keine kurzfristige Besserung in Sicht

Die noch vor einem Jahr zumindest ein leichtes Wachstum der deutschen Industrie im Jahr 2024 signalisierenden Prognosen sind im Jahresverlauf 2024 mehr und mehr in den negativen Bereich abgetaucht. Gemäß Consensus Forecasts erwarten die deutschen Konjunkturforscher im Durchschnitt einen Rückgang der Industrieproduktion im Jahr 2024 in Höhe von gut 2 ½ Prozent gegenüber dem Vorjahr. Damit wird das Produktionsniveau der deutschen Industrie aus den Jahren 2018 und 2019 um ein weiteres Mal deutlich verfehlt (Abbildung). Auch die reale Bruttowertschöpfung der Industrie wird unter dem Niveau dieser beiden Jahre – also vor Ausbruch der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine – bleiben. Im weiteren Jahresverlauf 2024 dürfte sich die rezessive Entwicklung aus dem ersten Halbjahr 2024 zunächst fortsetzen. Dafür spricht zum einen die anhaltend schwache Auftragsentwicklung – trotz der erfreulichen Belebung bei den Inlandsbestellungen im Juni. Die Auslandsaufträge waren bislang jedoch anhaltend schlecht. Insgesamt lag das gesamte Ordervolumen der Industrie im ersten Halbjahr um 6,5 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres. Zum anderen ist auch bei den Stimmungsindikatoren keine Trendwende zu erkennen. Der Einkaufsmanagerindex für die Industrie war in den letzten Monaten wieder rückläufig und lag zuletzt im August mit gut 42 Punkten deutlich unter der Expansionsschwelle von 50. Auch die aktuellen Ergebnisse des ifo-Geschäftsklimaindexes (ifo, 2024) lassen für die Industrie keine nennenswerte Erholung in nächster Zeit erwarten.

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