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Gero Kunath IW-Kurzbericht Nr. 37 18. Juni 2024 Chinas Immobilienkrise: Regierung sieht Risse im Fundament

In den letzten Jahren entwickelte sich der chinesische Immobiliensektor zunehmend vom Primus zum Sorgenkind. Die Insolvenz von Evergrande, des ehemals größten Immobilienentwicklers des Landes, im Jahr 2021 führte nach einer Dekade rasanten Wachstums zu einer schwelenden Immobilienkrise. Mitte Mai dieses Jahres beschloss die chinesische Regierung daher, den Immobiliensektor zu stützen, indem sie die Nachfrage nach längerem Bremsen wieder anheizt.

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Regierung sieht Risse im Fundament
Gero Kunath IW-Kurzbericht Nr. 37 18. Juni 2024

Chinas Immobilienkrise: Regierung sieht Risse im Fundament

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

In den letzten Jahren entwickelte sich der chinesische Immobiliensektor zunehmend vom Primus zum Sorgenkind. Die Insolvenz von Evergrande, des ehemals größten Immobilienentwicklers des Landes, im Jahr 2021 führte nach einer Dekade rasanten Wachstums zu einer schwelenden Immobilienkrise. Mitte Mai dieses Jahres beschloss die chinesische Regierung daher, den Immobiliensektor zu stützen, indem sie die Nachfrage nach längerem Bremsen wieder anheizt.


Der vormals boomende chinesische Immobiliensektor befindet sich an einem historischen Tiefpunkt. Das zeigt der National Real Estate Climate Index des Nationalen Statistikbüros Chinas, der die aktuelle Lage im Immobilienmarkt auf Grundlage verschiedener Indikatoren abbildet. Im April 2024 lag der Index rund 20 Prozentpunkte niedriger als noch Anfang 2008 kurz vor der Weltfinanzkrise (Abbildung). In der Zeit danach wurde der Sektor zu einem der wichtigsten Wachstumstreiber für die chinesische Wirtschaft. Insgesamt erwirtschaftete der Immobiliensektor während des Aufschwungs unter Berücksichtigung all seiner Verflechtungen in andere Wirtschaftsbereiche nach verschiedenen Schätzungen knapp ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts.

Der jahrelange Boom hatte viele Profiteure in der chinesischen Gesellschaft. Immobilien dienten der Bevölkerung aufgrund stetig steigender Preise als lukratives Investitionsobjekt. Zwischen dem ersten Quartal 2008 und dem vorläufigen Höchststand im dritten Quartal 2021 stieg der Immobilienpreisindex Chinas der Bank for International Settlements um 21,2 Prozentpunkte. Die Lokalregierungen profitierten von Landverkäufen an Immobilienentwickler wie Evergrande oder Country Garden. Ihre Umsätze aus Landverkäufen verdreifachten sich laut chinesischem Finanzministerium zwischen 2010 und 2021 von rund 2,8 Billionen Yuan auf knapp 8,5 Billionen Yuan. Die chinesische Führung konnte unter anderem mithilfe des Immobilienbooms das Wirtschaftswachstum mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 6,8 Prozent zwischen 2008 und 2022 auf einem hohen Niveau stabil halten, wenngleich mit leicht abnehmender Tendenz.

Die enorme Expansion des Immobiliensektors seit 2008 war dabei in großem Maß schuldenfinanziert. Die Hypothekenverbindlichkeiten privater Haushalte stiegen laut chinesischer Zentralbank von rund 5 Billionen Yuan im ersten Quartal 2008 auf zuletzt mehr als 50 Billionen Yuan. Um der somit rasant wachsenden Nachfrage gerecht zu werden, nahmen auch Immobilienentwickler in großem Stil Schulden zur Finanzierung ihrer ehrgeizigen Projekte auf. Die Verbindlichkeiten des ehemals größten Immobilienentwicklers Chinas, Evergrande, stiegen laut Geschäftsberichtsangaben um knapp 50 Milliarden Yuan im Jahr 2009 auf rund 2,4 Billionen Yuan (gut 300 Milliarden US-Dollar) zur Jahresmitte 2023. Die Verbindlichkeiten von Country Garden stiegen im gleichen Zeitraum von rund 42 Milliarden Yuan auf knapp 1,4 Billionen Yuan (rund 200 Milliarden US-Dollar).

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Mit den Jahren wuchs daher die Sorge in der Kommunistischen Partei Chinas, der Boom könne zur Blase werden. Auf dem 19. Parteikongress im Jahr 2017 stellte Xi Jinping klar: „Häuser werden gebaut, um darin zu wohnen, nicht für Spekulation“. Im August 2020 legte die chinesische Regierung mit den „drei roten Linien“ ihre bisher umfangreichste Regulierung des Immobilienmarktes vor, die sie allerdings zwischenzeitlich auch wieder etwas lockerte. Ziel dieser Maßnahmen war besonders die Eindämmung der rasant gewachsenen Verschuldung der Immobilienentwickler. Die Verbindlichkeiten der Entwicklerfirmen durften von nun an nicht mehr als 70 Prozent der Vermögenswerte ausmachen. Der Nettoverschuldungsgrad durfte nicht größer als das Eigenkapital sein und jedes Unternehmen sollte liquide Mittel mindestens in Höhe seiner kurzfristigen Verbindlichkeiten vorhalten. In der Folge hatten einige der größten Immobilienentwickler große Liquiditätsprobleme. Evergrande war Ende 2021 erstmals nicht in der Lage, seine Verbindlichkeiten zu bedienen. Als Reaktion auf weitere Zahlungssäumnisse und ausbleibende Vorschläge für eine Schuldenrestrukturierung seitens Evergrande in den folgenden Jahren, ordnete ein Hongkonger Gericht im Januar 2024 die Liquidation des einstigen Immobilienriesens an. Ende 2023 konnte auch Country Garden erstmals Verbindlichkeiten nicht mehr fristgerecht bedienen, was den Befürchtungen um eine schwelende Immobilienkrise erneut Aufwind gab.

Verhindern oder Verzögern der Korrektur?

Nach langem Zögern hat die Kommunistische Partei sich Mitte Mai dieses Jahres entschlossen, den wankenden Immobiliensektor wieder kräftig zu stützen – offenbar erkennt sie tiefe Risse im Fundament. Dafür will die chinesische Regierung die zuletzt schwache Immobiliennachfrage anheizen.

Für private Haushalte soll der Eigenkapital-Anteil für Immobilienkredite von Erstkäufern von 20 Prozent auf nun 15 Prozent des Kaufpreises sinken. Außerdem sollen die Untergrenzen für Hypothekenzinsen aufgehoben werden, sodass Banken ihren Kunden Kredite auch unter dem Leitzins der chinesischen Zentralbank gewähren können. Die Zinsen für Immobilienkredite aus betrieblichen Unterstützungskassen sollen ebenfalls um 0,25 Prozentpunkte sinken. Die zentrale Maßnahme der Stabilisierungsaktion ist jedoch ein 300 Milliarden Yuan (rund 42 Milliarden US-Dollar) schweres Ankaufprogramm, das Lokalregierungen zum Erwerb von fertiggestellten, aber bisher nicht verkauften Immobilien zu „vernünftigen“ Preisen ermutigen soll, um diese in Sozialwohnungen umzuwandeln (He, 2024).

Die Maßnahmen zeigen, dass die chinesische Regierung im Immobiliensektor die Flucht nach vorn antreten möchte – vermutlich auch aus Sorge um eine mögliche Nichterfüllung des ambitionierten gesamtwirtschaftlichen Wachstumsziels von rund 5 Prozent für das laufende Jahr. Bisher fielen die Reaktionen auf das Maßnahmenpaket an den Finanzmärkten verhalten aus. Ob es sich bei den Eingriffen um ein Verhindern oder nur ein Verzögern einer möglicherweise notwendigen Marktkorrektur handelt, bleibt abzuwarten.

Grundsätzlich steckt im chinesischen Immobilienmarkt noch großes Potenzial. Die Urbanisierung wird sich vor-aussichtlich fortsetzen und der Anteil der Bevölkerung, der in städtischen Gebieten lebt, von derzeit knapp 65 Prozent auf schätzungsweise 75 Prozent bis 2035 ansteigen (Rogoff/Yang, 2023). Die Aufweichung der Kreditlinien und die gesunkenen Kreditkosten dürften daher der Nachfrage nach Wohnungen neuen Aufwind geben. Damit würden Immobilienentwickler wieder liquide Mittel für den Ausbau der Millionen verkauften, aber nicht fertiggestellten Wohnungen erhalten. Auch die zuletzt drastisch gefallenen Immobilienpreise dürften sich stabilisieren.

Weitere Hypothek auf die Zukunft

Es stellt sich die Frage, ob das Hilfspaket langfristig trägt oder die gesamtwirtschaftliche Verschuldung zu stark steigen lässt. Der Verschuldungsgrad der privaten Haushalte verdreifachte sich laut Internationalem Währungsfonds (IWF) seit der Weltfinanzkrise und lag Mitte 2023 bei 63,5 Prozent und damit nur 1,5 Prozentpunkte von der 65-Prozent-Schwelle entfernt, ab welcher der IWF vor finanziellen Risiken warnt. Seit der Corona-Pandemie lässt sich auch eine Zunahme von Zahlungsverzögerungen oder -ausfällen seitens privater Haushalte beobachten.

Das Ankaufprogramm, mit dem die Lokalregierungen schlüsselfertige Häuser der Immobilienentwickler für zukünftige Sozialwohnungen aufkaufen sollen, dürfte zwar helfen, die akuten Liquiditätsprobleme der Immobilienentwickler zu mindern. Der Wunsch der Zentralregierung, der Ankauf solle zu „vernünftigen Preisen“ erfolgen, bringt aber Probleme mit sich. Sollten diese Preise unter den bilanzierten Werten liegen, würden die Immobilienentwickler verlieren. Liegen sie darüber, würden die Lokalregierungen zu teuer einkaufen und die Entwickler subventionieren. Beide Parteien können sich aber kaum noch weitere finanzielle Belastungen erlauben. Neben den oft stark verschuldeten Immobilienentwicklern leiden auch die chinesischen Lokalregierungen unter einer hohen Schuldenlast. Während die offiziellen Statistiken eine moderate Schuldenstandsquote für die Lokalregierungen ausweisen, gehen Schätzungen von einer mehr als doppelt so hohen tatsächlichen Schuldenlast aus (Shih/Elkobi, 2023). Grund für die Differenz sind unter anderem die umstrittenen Finanzierungsinstrumente der Lokalregierungen abseits des offiziellen Haushalts.

Zusammenfassend zeigt die Rettungsaktion: Die Kommunistische Partei macht sich ernste Sorgen um den Immobiliensektor und die Wirtschaft. Offenbar sieht sie aber keine andere Möglichkeit, als diese Probleme mit neuen Schulden zu bekämpfen, obwohl sie das Schuldenmachen lange Zeit aus Sorge vor Finanzstabilitätsrisiken eindämmen wollte.

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